DU – Von Dingen jenseits der Sprache

a cura di Klara Obermüller

Bei erster, flüchtiger Betrachtung möchte man die Collagen Italo Valentis der ungegenständlichen Kunst zuordnen, wären da nicht die Titel, die verraten, dass es hier um mehr geht als um reines Spiel von Farbe und Form: um sinnliche An-schauung, persönliches Erleben, gedankliche Prozesse – Träume, die in diesen Blättern ihre letzte geistige Verdichtung erfahren haben. Da gibt es die verschiedenen «Magiciennes», Archetypen im Werk Italo Valentis; da gibt es die Gestirne in ihren Phasen und Konstellationen – «Etreinte de lune», «A minuit le soleil», «Eclipse» -; da gibt es die Gestalten der griechischen, der mediterranen Mythologie, die Städtevisionen wie «Cerveteri» oder «Palestrina»; und da gibt es den Gestalt gewordenen Ausdruck von Gefühlen wie «Amitié» oder «Rupture». Solche Hinweise sind bei Valenti nicht literarisch zu verstehen. Seine Werke gehen hinter die Geschichten, hinter die äussere Erscheinung der Dinge zurück. Sie sind dort zu Hause, wo Bewusstsein sprachlos sich ausdrückt. Sie sind bald Archetypen, bald Mythen, bald Chiffren: gestaltete Zeichen unbe-wusster, im Traum geschauter, mit dem Gefühl wahrgenommener, auf das Wesentliche reduzierter Vorgänge oder Zustände. Der Beschauer mag mit ihnen assoziieren, was immer er will – Stonehenge mit steinerner Sonne am nächtlichen Himmel in «Les Magiciennes» aus dem Jahr 1960, eine kosmische Katastrophe oder auch eine in Jahrtausenden sich nur einmal wiederholende astrale Konstellation in «Etreinte de lune» von 1978 -, stets wird er sich dabei in eine Welt versetzt fühlen, in der wir noch nicht der Sprache bedurften, um die Dinge zu benennen.

Italo Valenti ist ein stiller Künstler.
Ich habe ihn kaum je über seine Werke reden oder gar theoretisieren hören. Was er schafft in der Stille seines Ateliers, allein mit seinen Papieren, ist da, wie Landschaften da sind oder Pflanzen oder Bauwerke, deren Alter keiner mehr weiss. Gewiss, wenn man seine frühesten Werke mit jenen der sechzi-ger oder siebziger Jahre vergleicht, ist ein Weg abzulesen: die hoch-bewusste, einem angespannten Willen abgerungene Reduktion vom Abbild zum reinen Bild, zu einer Abstraktion, die jedoch nie den Bezug zur Welt der Dinge, zur Natur – auch der menschlichen -, zur Realität – auch der seelischen – verloren hat.

Ich habe Italo Valenti einmal zuge-schaut, wie er aus zufällig liegengebliebenen bunten Bonbonpapier-chen eine winzige Collage machte, indem er mit behutsam-sicherem Griff das zerknitterte Stanniol, das glänzende Cellophan so lange hin und her schob, bis alles auf kleinstem Raum zusammenstimmte, Form zu Form, Farbe zu Farbe, Material zu Material. Nicht anders entstehen auch seine grossen Werke. Die gerissenen und geschnittenen Papiere werden in tagelanger Arbeit immer wieder verschoben, bereinandergelegt, aneinander-gefügt, bis diese eine Collage sitzt. Eine Glasplatte gibt ihr vorläufigen Halt, bis der Leim – ganz zum Schluss, wenn der Künstler sicher ist, die richtige Form für seinen Gedanken gefunden zu haben – ihr für immer Dauer verleiht.

Wer einem solchen Entstehungspro-zess beiwohnt, spürt, dass ein Künstler am Werk ist, der mit traumwandlerischer Sicherheit und höchstem Sinn für Ausgewogenheit Formen und Farben sich zu einem Ganzen finden lässt, dem etwas von der Makellosigkeit mediterraner Bauwerke eigen ist. Man merkt, dass hier einer Umgang mit seinem Werkstoff, dem Papier, pflegt, der ein untrügliches Gespür für sein Material besitzt, für das harte und glänzende, das angerauhte, das weiche und das stumpfe. Nichts ist dem Zufall überlassen, und doch spielt der Zufall eine ganz entscheidende Rolle bei der Entstehung dieser Collagen. Was entsteht beim Ein-reissen und Zerreissen eines Papier-bogens – die Art, wie Farbe von bestimmten Papierqualitäten auf genommen wird, das Zusammenspiel von Riss und geschnittener Kante, das Gegeneinander von getöntem Hintergrund und geklebtem Papier -, das alles sind sinnlich erlebbare, ästhetische Qualitäten, die im Werk Italo Valentis ebenso bedeutsam sind wie die gestalterische Verdichtung geistiger Prozesse. «Les Magiciennes», «Etreinte de June» – zwei fast zufällig ausgewählte Werke, die für die Summe eines nun schon Jahrzehnte währen-den, sich stets treu bleibenden Schaffens stehen. Italo Valenti hat sich wenig gekümmert um die wechselnden Tendenzen und Ismen in der Kunst seiner Zeit. Er ist im Grunde seines Wesens ein einsamer Mensch, der unbeirrt seinen Weg gegangen ist, der Zwiesprache gehalten hat mit der Natur, um sie immer wieder neu umzusetzen in den kleinen Kosmos seiner geklebten Papiere; ein Mensch, der stumm verweilen kann bei der äusseren Erscheinung der Dinge und der immer nur das eine gesucht hat: den Ausgleich zwischen ihrer sinnlichen Erscheinung und ihrem inneren Wesen. Materie und Geist – in den besten seiner Werke ist der Dualismus aufgehoben, eingegangen in ein Gleichgewicht, dem unsere Sprache das Wort «schön» zugedacht hat.

Obermüller, Klara, Von Dingen jenseits der Sprache in DU – die Kunstzeitschrift 1, 1980