Die Bildwelt von Italo Valenti

Alfred Andersch

Einem deutschen Publikum muß Italo Valenti, der leiseste italienische Maler unserer Zeit, zunächst einmal biographisch vorgestellt werden.
Valenti wurde 1912 in Mailand geboren. Er studierte in Vicenza, Venedig und Mailand; danach unterrichtete er von 1938-1952 an der Brera, Italiens berühmtester Kunstakademie. 1953 übersiedelte er in die Schweiz; sein Atelier, ein kleiner grauer Raum, geheimes Ziel von Kunst-Reisen aus aller Welt, befindet sich seitdem in Locarno.
Als er 1938, im Italien des Faschismus, zu lehren begann, trat er gleichzeitig der Gruppe Corrente bei, in der sich der künstlerische Widerstand gegen den Faschismus kristallisierte. Die Corrente hielt die Verbindung der italienischen Kunst mit den großen Errungenschaften der europäischen Moderne aufrecht, auch nachdem sie 1940, beim Kriegseintritt Italiens, verboten wurde. Die Rolle, die Valenti in der Corrente gespielt hat, die Wirkung, die seine Bilder in den Ausstellungen der Galerie Grande in Mailand auf das Publikum ausübten, hat Guido Ballo geschildert (Italienische Malerei vom Futurismus bis heute, Köln, 1958). Bei Ballo, obwohl er doch nur die frühen Bilder Valentis betrachtet, steht auch schon der Satz, der dessen Gesamtwerk charakterisiert: „Valenti beharrt auf fast monochromen Ober-flächen, die er durch wenige weite Akkorde belebt.”

Auf die Epoche des Faschismus läßt Valenti sich nur ungern anspre.
Chen. Er, ein ungemein freundlicher und heiterer Mann, wird dann für Augenblicke bitter. Es scheint, daß er damals Erfahrungen ge. macht hat, die er weder vergessen noch verdrängen kann. Eine außerhalb Italiens niemals so recht begriffene, spezifisch italienische Erfahrung bestand darin, daß der italienische Faschismus, der in künstlerischen Dingen anders war als der deutsche, nämlich clever, sich einer modernen Richtung virtuos bediente: des Futurismus. Das leere Pathos Marinettis kam ihm gerade recht. Aus solchen Erlebnissen nährt sich die lebenslange Abneigung Valentis gegen alles Auf. geregte, Deklamatorische; er wird dann ungerecht, wendet sich auch gegen den Expressionismus. Der Expressionismus ist für ihn eine rein voluntaristische Stilrichtung.
Doch ist jeder große Künstler einseitig, ungerecht Innerhalb seines Werks ist er offen, geöffnet; außerhalb desselben schließt er sich ab, stößt er ab, was er nicht brauchen kann.

In den mailändischen Galerien ist immer viel los. Die Kunstszene Italiens ist bewegt, lebendig. Ohne Zweifel wird, wie immer, so auch heute, aus ihr hervorgehen was Rang behalten wird. Aber Italien besitzt heute nicht viele wahrhaft bedeutende Maler, mehr als ein halbes Dutzend auf keinen Fall, fürchte ich, und von diesen sind einige in ihren Formen erstarrt, wiederholen bloß die erfolgreiche Demonstration ihrer Stilmittel. Mit Recht wenden sich die jungen Maler gegen sie und von ihnen ab; lächerlich wirken diese Jungen nur, wenn ihnen anzumerken ist, daß sie allen Ernstes glauben, vor ihnen habe niemals ein Mensch gemalt.
Wann hat Italo Valenti begonnen, sich jenen ganz reinen Formen zu-zuwenden, aus denen heute seine Bilder bestehen? Ich weiß es nicht genau. Noch vor fünfzehn Jahren hat er mir Bilder gezeigt, auf denen Gegenstände zu erkennen waren: Schiffe, Baume, Menschen, Fische, Schirme, wenn ich mich recht erinnere. Aber das waren noch frühere Bilder, die Bilder, die Ballo beschrieben hat. Für das, was nachher kam, hat es ,vermute ich, keinen einfühlenderen Betrachter gegeben als Manuel Gasser, in seinen Aufsätzen in der Zeitschrift du, in der Einführung zur Zürcher Kornfeld-Ausstellung von 1972. „Ich spürte”, schreibt Gasser, „daß die Ungegenständlichkeit der Collagen nur scheinbar war, daß es sich bei ihnen um extreme Verdichtungen von Geschehenem und Erlebtem handelte. Um Natureindrücke vor allem,Steine, Felsformationen, Pflanzliches, Tierisches -, aber auch um Erfahrungen mit Kunstwerken der mannigfachsten Art.”


Dies ist unbedingt richtig. Und dennoch gibt es in den Bildern Valen-tis einen Vorgang, in dem sich die Formen von dem Gegenstand, der sie vielleicht optisch ausgelöst hat, vollständig und endgültig ablösen.
Möglich, daß die Struktur eines Steins, das Licht auf einem Blatt oder auch ein Gedanke, – die Vorstellung der Reise etwa, wie sie in einem Bild, das ich besitze, vollkommen ausgedrückt ist -, den Maler angeregt haben, aber in dem Prozeß der Realisation, dem er sich unter-zieht, erreicht er, -fast ist es in den Bildern mit Händen zu grei-fen-, den Punkt, an dem die Erinnerung an den Gegenstand ausgelöscht wird. Tatsächlich entsteht etwas Neues, ein neuer Gegenstand, dessen Erkenntnis nur das törichte Wort abstrakt im Weg steht, denn es handelt sich um ein Aggregat aus Formen und Farben, also ein wirkliches, sinnliches Objekt. Selbst da, wo Valenti noch mit Phänomenen der materiellen Welt wie mit Zeichen spielt, übersetzt er sie spielend ins Phänomenale des absoluten Bildes. Wir fühlen, daß ein Mond in einem Bild Valentis auch dann erscheinen würde, wenn es den Mond, den wir alle kennen, gar nicht gäbe.

Als wolle er eigens beweisen, daß die visuelle Erfahrung der Außenwelt ihm höchstens Anlaß und eigentlich gleichgültig ist, hat er sich in einer Reihe von Werken der Technik der Collage bedient. Man kann sich ja für die Umsetzung von „Natur” in jene Organisation von Formen und Farben auf einer Fläche, die man Bild nennt, kein spröderes Mittel ausdenken als das Zusammenkleben von zerrissenen und bemalten Papierstücken auf einer mehr oder weniger monochromen Fläche. Die Collagen, ihr taktiler Reiz, ihre ins Plastische reichende Kraft, zwingen die Olbilder, die Aquarelle und Tuschen zu noch gröBerer Einfachheit, zu jenen „wenigen weiten Akkorden”, von denen Ballo spricht. Ein gelbes Trapez erscheint auf einer weißen Fläche
-aber wie es erscheint, zitternd abgerungen einer Empfindlichkeit, die es eigentlich gar nicht erscheinen lassen möchte, das ist einzigartig.
Sagen wir ruhig, daß Empfindlichkeit die auszeichnende Eigenschaft dieses Malers ist. Oder, um einem momentan zur Mode erklärten Wort einen Sinn zu geben: Sensibilität. Alle Teile der Bilder Valentis schießen aus den subjektivsten Empfindungen zusammen. Daher seine Abneigung gegen alles, was dem Willen gehorcht, was von Absichten gelenkt wird, was Botschaften verkündet, Weltanschauungen illu-striert, konstruktive Pläne vorschlägt, und geschehe dies in den höchsten Formen. Sensibelster Ausdruck persönlicher Empfindungen – darin besteht der Inhalt von Valentis Bildern, aber zugleich sind sie Ausdruck eines Sensoriums von hoher Intelligenz und alter Kultur;
Sentimentalität und Selbstgenuß sind Valenti fremd, fast alle seine Bilder enthalten Ironie, sind understatements. In den Rißlinien der Konturen, in der Art, wie die Farbe geklärt wird, tritt Härte hervor.
Dennoch: im Kontext heutiger Kunst eine, die als privat erscheint.
Eine diskrete Kunst; was sie zu sagen hat, sagt sie leise. Nur in ihrer Lautlosigkeit erinnert sie an Morandi; ihre Formensprache ist eine ganz andere als die des Bolognesers. Seltsam nur, daß gerade sie ihren Verfertiger zu einem der wenigen noch ganz lebendigen Maler in der Spitzengruppe der italienischen Kunst gemacht hat. Seltsam und logisch. Gerade weil Valentis Werk sich ganz dicht gemacht hat gegen die Gefahr, welche die italienische Kunst stets bedroht, die Gefahr des Pathos, der leeren Geste, ist sie heute der stärkste Ausdruck ihrer Substanz. Und weil sie andererseits auf die italienische Schönheit nicht verzichtet, auf eine Schönheit, die uns verzaubert und sprachlos macht, strahlt sie in die Weltkunst aus.

In meinem Arbeitsraum hängen drei Bilder Valentis. Sie erinnern mich täglich daran, daß die letzte und uneinnehmbare Rückzugsbasis im Kampf gegen den anti-menschlichen Zustand unserer Welt im scheinbar Privaten, im rücksichtslos Subjektiven, im eigensinnig Sensiblen besteht. Der junge Valenti hatte kein Programm und keine Theorie, er hatte nichts als seinen Glauben an eine von der Empfindung geführte malerische Existenz, aber mit ihr allein hat er dem Faschismus Widerstand geleistet. Er besitzt auch heute keine „Welt-anschauung”; ich glaube, kein großer Maler hat eine. Philosophisch, politisch und in ihrem Fühlen standen sie alle auf der Seite der kritischen Veränderung ihrer Epochen, wie Valenti in der Corrente-Zeit, wie heute. In seinem Werk zeigt er uns nicht mehr und nicht weniger, als das, was uns die Künstler aller Zeiten gezeigt haben: daß die Ästhetik des Widerstandes nichts anderes ist als der Widerstand der Ästhetik.